Henriette Davidis in Sprockhövel

Über das Leben und Wirken der Henriette Davidis in Sprockhövel

In den Jahren 1841 bis 1848 leitete Henriette Davidis die Mädchenarbeitsschule, die im Hause Heine, heute Hauptstr. 4, Haus Heine untergebracht war. Wahrscheinlich hatte sie nur jeweils wenige Mädchen um sich geschart, um sie in praktische Hausarbeit einzuführen.

Henriette wohnte wenigstens zeitweise im Schultenhof Schultenhofvielleicht auch in einem Backes,












der bis Anfang der 70er Jahre etwa an der Stelle des Neubaus der Volksbank stand. Dort zumindest hat sie kulinarisch experimentiert, d. h. ihre Kochrezepte erprobt.

Die Jahre 1841 bis 1848 sind gleichsam die Achsenzeit im Leben der Davidis. Wenn man ihre Kindheit, d. h. die 15 Jahre bis zu ihrer Konfirmation - damals verließ sie ihr Elternhaus - abrechnet, so verbleibt vor und nach ihrer Sprockhöveler Zeit je etwa ein Vierteljahrhundert. Wie es scheint, hat sie in Sprockhövel am längsten verweilt -
abgesehen von Dortmund, wo sie ihren allerdings mit wiederholtem Wohnungswechsel verbundenen Lebensabend verbrachte.

Aus dem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang ihres Aufenthaltes in Sprockhövel stammt ein uns befremdlich klingendes Urteil aus der Feder des ihr zweifellos bekannten Thomas Noelle, der von 1839 bis 1847 Amtmann in Sprockhövel war. In seiner "Chronick von Sprockhövel", die er im August 1848 in Breckerfeld abschloß, schreibt er:

    "Als Schriftstellerinn ist jedoch Fräulein Henriette Davidis zu erwähnen, die Verfasserinn anspruchloser und anmuthiger, keineswegs mittelmäßiger Dichtungen ist welche bei Velhagen und Clasing in Bielefeld erschienen sind, und deren 2te Auflage bald folgen wird." (S. 94 b)

Der Begriff "anspruchlos" hat im Textzusammenhang keinen negativen Sinn; er meint eher: "leicht faßbar", "leicht verständlich".

Was meint Noelle überhaupt? Henriette Davidis hat bei Julius Bädeker in Elberfeld bzw. Iserlohn Gedichte veröffentlicht, nicht bei Velhagen und Klasing. Eine zweite Auflage erschien noch 1848. Aber diese Gedichte sind alles andere als "anmutig". Noelles Ungenauigkeit korrespondiert mit der literarischen Einstellung "seiner" Sprockhöveler: "Die Poesie findet hier wenig Anklang." Auch ihm bleibt der Zugang zum tieferen Verständnis der Davidisschen Dichtung verschlossen.

Im eigentlichen Sinne verwunderlich ist Noelles Bemerkung aus einem anderen Grunde: Nicht als Literatin war Henriette Davidis damals bekannt, sondern als Kochbuch-Autorin. Ihr aus dem Jahre 1844 stammendes "Praktisches Kochbuch für die gewöhnliche und feinere Küche" war 1847 bereits in dritter Auflage erschienen. Dieses Werk begründete ihren Ruhm.

Es gibt ein weiteres Indiz, daß die Kochkünste der Henriette Davidis in Sprockhövel nicht wahrgenommen wurden. Fritz Lehmhaus analysiert in seinen Lebenserinnerungen die Speisekarte des Unterdorfs, in dem er aufgewachsen war. Die Eßgewohnheiten der Unterdörfler hatten ihre tieferen Wurzeln weit in der vordavidisschen Vergangenheit. Von den Eingesessenen wurde der verführerische Duft der damals aufkommenden anspruchsvolleren Küche als "neumodisch", als "Schnickschnack" oder "Firlefanz" abgetan. Fritz Lehmhaus, dessen Mutter in der Mädchenarbeitsschule unter Anleitung
der Davidis "Stricken und dergl." gelernt hatte, kommt schließlich zu dem Urteil:

    "Man kann sagen, daß Henriette Davidis, die Verfasserin des bekannten Kochbuches, in Sprockhövel keine Spuren hinterlassen hat."
    ("Das Unterdorf", S. 29)

Fritz Lehmhaus danken wir auch die Nachricht, daß Henriette Davidis im Schultenhof gewohnt hat. Im eben erwähnten Backes probierte sie einen Teil ihrer Rezepte aus. Von dort überschaute sie den Gemüse-, Kräuter- und Blumengarten, in dem der Schulte Ferdinand Leveringhaus zusammen mit seinem Müller Kaspar Voß ähnlich wie später (1865) Gregor Mendel experimentierte, beispielsweise Blumen andere Farben
anzuzüchten versuchte. Es ist vorstellbar, daß Henriette Davidis gerade im Gespräch mit diesen beiden Männern ihr 1850 erschienenes Buch "Der Gemüsegarten" (später erweitert zu "Der Gemüse- und Blumengarten") bereits skizzenhaft entwarf.

Mit diesem Buch hat es - bezogen auf Sprockhövel - seine besondere Bewandtnis. Als es 1850 erschien, schrieb Henriette dem Schulte Leveringhaus einen im Ton freundlichen Brief, der sich heute noch im Besitz eines Sprockhövelers befindet. Henriette kündigt ihm an, daß ihm in Kürze vom Verlag 24 Exemplare des Gartenbuches zukommen werden,
über die er frei verfügen kann.Die Buchautorin stattet damit ihren Dank für geleistete Vorarbeit ab.

Das eigentliche Anliegen des Briefes ist jedoch ein anderes: Sie bittet Ferdinand Leveringhaus um die Rückzahlung von 100 Talern, die sie einst dem Schulte geliehen
hatte. Wahrscheinlich hatte Leveringhaus , der 1841 die Erbpacht des Domänengutes in sein persönliches Eigentum überführen konnte, die doch recht erkleckliche Summe von 1600 Talern sofort nach Vertragsabschluß hinterlegen und weitere Steuern und Lasten,
die auf dem Schultenhof lagen, übernehmen müssen. In seiner finanziellen Bedrängnis ist ihm irgendwann zwischen 1841 und 1848 Henriette beigesprungen.

Die Davidis behandelt die Angelegenheit mit Diskretion. Sie trägt dem Adressaten ausdrücklich auf, keine Grüße an “Freunde und Bekannte" auszurichten, damit ihm unangenehme Rückfragen nach dem Zweck ihres Schreibens erspart bleiben. Sie bestätigt ihm, daß sie sich in Bremen, von wo aus sie schreibt, "recht wohl und glücklich fühle , das liebe Sprockhövel aber darüber nicht vergesse".

Gegen Ende ihrer Sprockhöveler Zeit veröffentlichte Henriette Davidis ein Bändchen mit Gedichten. Es sind die persönlichsten Dokumente, die wir von ihr besitzen. Offensichtlich stammen alle - wie die beigefügten Daten vermuten lassen - aus ihren Jahren in Sprockhövel.

Ludger Haverkamp am 03.01.2001

HENRIETTE DAVIDIS - in Stichworten *

1801 Henriette Davidis wurde am 1.3.1801 in Wengern geboren.
         Vater Pfarrer Ernst  Heinrich Davidis. Niederl. Mutter geb. Lithauer.
         Die Davidis waren ein altes luth. Pfarrergeschlecht aus Unna.

1816 Private Töchterschule Schwelm, Henriette wohnte bei ihrer Schwester Betty
         auf Haus Martfeld/Schwelm.

Danach Ausbildung zur Erzieherin in Wuppertal-Elberfeld.

4 Jahre Aufenthalt in Witten-Bommern:

Als Erzieherin und Köchin wirkte sie auf Gut Oberste-Frielinghausen
         (bei ihrer Schwester Albertine) und auf Gut Steinhausen.

1828 Rückkehr zur Mutter ins Pfarrwitwenhaus Wengern.
         Zweimal verlobt, beide Männer starben vorzeitig.

1838 Begleiterin einer kranken Frau in der Schweiz.
         Nach 1839 versch. Aufenthalte in Stemwede-Levern und Medebach-Küstelberg.

1841-48 Leiterin der Mädchenarbeitsschule Sprockhövel
         1844/45 Vorwort und Druck des ersten Kochbuches

1848 "Gedichte"

1849 4 Jahre Erzieherin in Hansestadt Bremen
         1850 "Der Gemüsegarten"

1853 Aufenthalt in Minden, hier Herausgabe der 6. Auflage des Kochbuches

Um 1856 war Henriette auch Dortmund verzogen.

Sie konnte fortan aus den Erträgen ihres Kochbuches leben (1876: 21. Auflage).

1856 "Puppenköchin Anna", ein Kinderbuch
1857 "Die Jungfrau"
1858 "Puppenmutter Anna", Kinderbuch
1861 "Die Hausfrau"

1874 Aufenthalt in Werne an der Lippe

1876 Henriette starb am 3.4.1876 in Dortmund.

* Aus dem Buch “Auf Henriette Davidis Spuren”
   herausgegeben v. Pfarrer Walter Methler Ev. Kirche Volmerstein 1987

Henriette Davidis Abend

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