100 Jahre Malakow-Turm 1997

aus der Festschrift zum                                 Tag des offenen Denkmals
Herausgegeben von der Stadt Sprockhövel    mit einem Aquarell von Isa Zinkler100 Jahre Malakowturm v. Isa Zinkler
             Text von Ludger Haverkamp

Der Malakow-Turm der Zeche Alte Haase steht in diesem Jahr im Mittelpunkt des Interesses. Anlaß ist sein hundertjähriges Jubiläum.

In der Architektur des l9. Jahrhunderts spielte der Typ des Malakow-Turms eine eigenwillige Rolle. Der Name “Malakow" wirkt in unserer Region befremdlich. Folgen wir der Überlieferung, so hat die heldenhafte Verteidigung des Forts Malakow - auf dem Hügel Malachow oberhalb des Hafens Sewastopol gelegen - während des Krimkrieges (1854-1856) eine tiefe Wirkung in Deutschland ausgeübt. Nach fast einjährigen, auf beiden Seiten sehr verlustreichen Kämpfen, die in der Militärgeschichte als erster Stellungskrieg gelten, mußten die Russen sich am 8. September 1855 der waffentechnischen Überlegenheit der Franzosen und Engländer beugen. Die verwüstete Festung wurde zum Symbol des zähen Selbstbehauptungswillens der Russen. In den westlichen Provinzen Preußens konnte sich der Malakow-Mythos auch deswegen ungehindert entwickeln, weil in diesem Krieg der europäischen Randstaaten die preußische Regierung neutralität wahrte.

Die Identifizierung des in die Industriearchitektur eindringenden Stils mit einem hart umkämpften Bollwerk auf der fernen Krim ist willkürlich. Das 19. Jahrhundert erwies sich als unfähig, einen eigenen, unverwechselbaren Baustil zu entwickeln. Griechisch-römische Antike, Romanik, Gotik und am Rande auch Barock bestimmten die Architektur. So ist es nicht verwunderlich, daß unter dem verspäteten Einfluß der Romantik das Mittelalter auch auf die architektonischen Formen zu wirken begann. Die Burgenbegeisterung griff um sich und bestimmte nicht nur den Stil von Repräsentativ- und Privatgebäuden, sondern auch die an sich auf reine Nützlichkeit ausgerichteten Industriebauten.

Der Verzicht auf ausschließliche Funktionalität und die Hinwendung zu einer kostenträchtigeren dekorativen Architektur haben auch einen sozialgeschichtlichen Hintergrund: Speziell in den preußischen Westprovinzen verlangten die zu Reichtum gekommenen Unternehmer, die auch gern in einem abfälligen Ton als "Industriebarone” bezeichnet werden, ihre gesellschaftliche Gleichberechtigung neben dem einflußreichen, seine Machtstellung zäh verteidigenden landständischen Adel. Das augenfälligste Beispiel dieses Anspruchs ist die gleich mehrere Kunstrichtungen in sich vereinigende Villa Hügel in Essen-Bredeney. Der auf politischer Ebene sich abspielende Machtkampf zwischen Liberalen und Konservativen findet auch in der Architektur Widerhall.

Die mächtigen Malakow-Türme richten ihre Funktionalität gleichsam nach innen. Das wuchtige, überwiegend in Ziegelbauweise errichtete Mauerwerk wirkt als Widerlager der riesigen Maschinen und der tonnenschweren Lasten. Die geballte Macht läßt sich auch nach außen nicht verbergen, aber zumindest durch die die Außenhaut auf lockernden Elemente mildern.

Gemessen an seinen mächtigen Namensvettern macht der Malakow-Turm der
Zeche Alte Haase
einen fast als zierlich zu nennenden Eindruck. Das liegt u. a. daran, daß er über dem nur bis ca. 310 m in mehreren Etappen abgeteuften Schacht Julie errichtet wurde. Für sich genommen wirkt er durchaus stattlich. Er zieht automatisch den Blick nach oben. Es ist ratsam, ihn aus der Distanz zu betrachten, um das nur geringfügig gestörte Ebenmaß des Gesamtbildes würdigen zu können. Auf der Schauseite ist das Erdgeschoß durch spätere Umbauten verändert. Die beiden Seitenwände sind bis zur Höhe des zweiten Stockwerkes durch jüngere Anbauten verdeckt. Im zweiten Stockwerk sind die Fenster, wie die wenig sorgfältig ausgeführte Verfugung vermuten läßt, später zugemauert worden.

Die großflächige Fassade wie auch die Seitenwände sind vertikal durch zwei Lisenen, d. h. durch senkrechte Wandstreifen, die um die Tiefe eines Ziegelsteins aus der Mauerfläche heraustreten, gegliedert. Die Wirkung der dominierenden Vertikalen wird jedoch aufgefangen durch die deutliche Hervorhebung der Stockwerke. Unterschiedlich geformte Friese deuten jeweils den Übergang von einem Stockwerk zum anderen an. Eine noch stärkere Auflockerung erfährt das Bauwerk durch die in jeder Etage umlaufenden Bogenfenster (auf jeder der drei Schauseiten drei). Jedes - nach innen abgestufte - Fenster ist mit einer Blendarkade versehen, die in der Höhe des Bogenaufschwungs auf Konsolen ruht. Die beiden vertikalen Außenstreifen enden unterhalb des Dachsimses in einer stufenartigen Begrenzung.

Einen eigenen Charakter hat der Dachabschluß. Während die Malakow-Türme der älteren Generation häufig einen an den mittelalterlichen Vorbildern orientierten deutlich akzentuierten Zinnenkranz aufweisen, findet unser Turm seinen Abschluß.in einem eher verspielten, luftigen, nur leicht gewölbten Bogen. Die vier Ecktürmchen und die Bekrönungen auf der Bogenmitte sind eine bestenfalls anspielende Reminiszenz an die trutzig-wehrhaften Vorbilder. Dem genau beobachtenden Auge fällt auf, daß Ecktürme und Bogenkronen unterschiedliche Gestalt haben (Ecktürmchen der Vorderseite: Walmdach; Bogenkrone: Satteldach; Ecktürmchen der Rückseite: Pultdach). Obendrein springen die mittleren und hinteren Türmchen leicht aus der Vertikalen. Entfernt erinnern sie an die Erker mittelalterlicher Burgen.

Eine optische Auflockerung erfährt der Malakow-Turm durch die Verwendung gelber Ziegelsteine für die Blendarkaden, die Friese und den Zierstreifen direkt unterhalb des Dachgesimses.

Der in der Industriearchitektur Ende des l9.Jahrhunderts vielfach verwendete neugotische Stil neigt zur Überladung. Nicht so unser Malakow-Turm, der - wenn der Betrachter die das Gesamtbild beherrschenden Rundbogenfenster als Kriterium nimmt - eher den neuromanischen Formen verpflichtet ist. Zurückhaltung gegenüber allen üppig wuchernden Architekturelementen und eine deutlich spürbare Ausgewogenheit hinterlassen einen insgesamt harmonischen Eindruck. Ästhetische Maßstäbe lieferten im Unterschutzstellungsverfahren nicht die eigentlichen Argumente. Als 1980 im Lande Nordrhein-Westfalen das Denkmalschutzgesetz verabschiedet wurde, lag die Wiederentdeckung der Industriearchitektur noch gar nicht so lange zurück. Von den ursprünglich mehr als 100 Malakow Türmen des Ruhrgebietes hatten nur l2 die Zeit überdauert. Der Malakow-Turm der Zeche "Alte Haase" spielt seine eigene Rolle unter seinen Vettern. Er ist der einzige südlich der Ruhr, zählt zu den ästhetisch ausgereiften, zierlicheren Vertretern seiner - in sich sehr vielfältigen - Gattung und vor allem - ist das letzte Beispiel dieses Bautyps. Nach 40 Jahren hatte die Ära dieses architektonischen Sonderlings ihr Ende gefunden.

Neben der ästhetisch-kunstgeschichtlichen Bedeutung hat der Malakow-Turm "Alte Haase" für die Bevölkerung Sprockhövels und des Umlandes seinen wirtschafts- und sozialgeschicht- lichen Stellenwert . Über mehr als sieben Jahrzehnte - bis zur Stillegung 1969 - war das Bauwerk Zeuge einer wechselvollen Geschichte. Wirtschaftliche Aufschwünge, aber auch Krisen - beispielsweise die 1925 drohende Schließung - wirken tief in zahlreiche Familien hinein. Ein Spannungsverhältnis zwischen der schönen, auf Repräsentation angelegten Fassade und der hinter ihr geleisteten harten Arbeit ist nicht zu leugnen. Der "Pütt" bot gleichwohl ungezählten Bergleuten ein halbwegs sicheres, wenn auch häufig bescheidenes Dasein. Der Identifikationswert des Malakow-Turms ist bis in die Gegenwart nicht zu unterschätzen. Er steht gleichsam als zweifellos herausragendstes Symbol einer wahrscheinlich mehr als fünf Jahrhunderte umfassenden Bergbaugeschichte unseres Raumes.

Das nicht komplikationsfreie Unterschutzstellungsverfahren wurde formell durch den Beschluß des Rates der Stadt Sprockhövel vom 5. 7. 1983, den Malakow-Turm in die Denkmalliste auf zunehmen, abgeschlossen. Diesem Schritt mußten notwendigerweise weitere Maßnahmen folgen. Der obere Teil des Turmes erwies sich als brüchig. Wind und Wetter hatten über Jahrzehnte hinweg in das nach oben offene Bauwerk hineingewirkt. Birken drohten die Mauerkrone zu sprengen.

Eine gründliche Sanierung war erforderlich. Die Finanzierung der Restaurierung bereitete den Kommunalpolitikern, Denkmalpflegern und dem Eigentümer erhebliche Schwierigkeiten. Der ursprüngliche Gedanke, das obere Drittel Stein für Stein abzutragen, die Ziegel einzeln zu numerieren, chemisch zu reinigen und an ihren Ursprungsort zurückzubringen, erwies sich als zu kostspielig. Der Plan, den oberen Teil unter weitgehender Wahrung des ursprünglichen Erscheinungsbildes durch ein neues Material zu ersetzen, erscheint auch in der Rückschau als akzeptabel. Ein historischer Vergleich sei erlaubt: Wie viele Steine des Kölner Doms sind noch mittelalterlicher Originalbestand?

Zur Sicherung des Turmes wurden zwei Betondecken eingezogen. In der Nordwestecke ist ein hinreichend großes Quadrat ausgespart, unter dem ein von der Kläranlage ausgehender rundgemauerter, die Hattinger Straße unterfahrender Stollen endet. Eine spätere museale Nutzung des Malakow-Turmes ist somit nicht verbaut. Von Grund auf saniert und vor Witterungseinflüssen durch ein Dach geschützt, wird das Monument zumindest für die nächsten Jahrzehnte Bestand haben und die Erinnerung an die wechselvolle Bergbaugeschichte Sprockhövels wachhalten.

 Ludger Haverkamp

Malakowturm der Zeche Alte Haase